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  • AutorenbildMatthias

Stillwohnen.

Aktualisiert: 15. Jan.

Eine fotografische Rückkehr "nach Hause" von Matthias Kern. Streetphotographie ohne Leben.


Die Weihnachtszeit ist der Moment, den die meisten Leute mit ihren Familien verbringen. Viele fahren dafür wieder zurück zu den Eltern und verbringen ein paar Tage dort, wo sie aufgewachsen sind. Das sollte dann auch die Zeit der Wärme und Gemütlichkeit sein; man bleibt zu Hause bei seinen Lieben und wärmt sich gemeinsam am Tisch mit Unmengen Truthahn, Gans oder anderem Festessen auf.


Soweit geht zumindest das Klischee. Die Erwartungen sind hoch – und deshalb genauso die Fallhöhe in die Enttäuschung. Denn wenn sich das Weihnachtsfest nun doch gar nicht so gemütlich und gesellig anfühlt, verändert sich alles sofort. Irgendwie ist „zu Hause“ nicht mehr das, was es einmal war. Alles ist zwar noch am gewohnten Platz außer das Gefühl. Und plötzlich erscheint die vertraute Umgebung gar nicht mehr so einladend und herzerwärmend. Stattdessen scheint die gesamte Nachbarschaft vielmehr verschlossen und unzugänglich. Vom erwarteten Gefühl der Heimeligkeit bleibt nur ein fader Nachgeschmack nach Nostalgie.



Ich bin in Berlin-Heiligensee aufgewachsen. Meine Eltern wohnen immer noch da, genauso wie meine Schwestern. Es ist also nur natürlich, dass wir uns dort für die Familienfeiern treffen. Da ich schon seit vielen Jahren nicht mehr dort lebe, fühlt es sich aber mittlerweile sehr fremd an, wieder auf den alten Kopfsteinpflasterstraßen zu laufen und die endlosen Reihen von Doppelhaushälften aus den Zwanzigerjahren zu betrachten. Das war mal mein „zu Hause“, sicher. Aber das ist es nicht mehr. Das Gefühl ist nicht mehr da, nur seine Leerstelle.


Dazu kommt, dass dieses Weihnachten der Regen zu überschwemmten Nebenstraßen und Parkplätzen geführt hat, die einen weiteren Verfremdungseffekt hervorriefen. So konnte ich Heiligensee unter einem neuen Blickwinkel sehen. Waren die Hecken schon immer so hoch? Hatten die Häuser schon immer so wenige Fenster? Und war es schon immer so, dass die meisten dieser Fenster auch noch hinter soliden Jalousien versteckt wurden?



In meinem neuen Blickwinkel (der auch meine Streetphotographie prägt) näherte sich die Nachbarschaft nun häufig an die Häuser in Todd Hidos House Hunting an: unheimlich unbelebt, reine Wohnstätten ohne Leben. Dabei half, dass während der Feiertage die Straßen recht leer blieben. Es half auch, dass viele dieser Eigenheimprojekte schon von der Konstruktion her so uneinladend wirken, dass sie beinahe an einige Bilder vom Tumblr Ugly Belgian Houses erinnern (https://uglybelgianhouses.tumblr.com/post/168686383513/when-you-love-apple-but-your-man-wants-windows).

In zwei separaten Spaziergängen, die ich in dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, konnte ich mit meiner Kamera einige dieser Wohnlandschaften ohne Menschen aufnehmen. Resultat daraus sind Bilder, die ich kaum als Stillleben bezeichnen möchte, denn von Leben ist keine Rede, sondern eher vom deutschen Eigenheim, das das Draußen vollkommen abschottet und auf der einen Seite ein Biedermeierleben in den eigenen vier Wänden, auf der anderen Seite eine Leere erstellt. Dies ist die Geschichte dieser Leere, die eben gerade das Gefühl bestimmt, dass ein jeder kennt, der in Vorstädten und in residentiellen Bezirken deutscher Städte aufgewachsen ist. Es ist ganz ähnlich zu dem, was 2010 Arcade Fire in ihrem preisgekrönten Album The Suburbs darstellten: Das Gefühl, dass das wahre Leben ganz nah ist, aber noch nicht ganz in Reichweite (Ready to start, City with no children), das Gefühl des Ausgeschlossenseins (Sprawl I + II),  das Gefühl, dass man seine Zeit als Jugendliche:r eigentlich nur verschwendet (Wasted hours), aber man sich nun doch nach dieser Verschwendung sehnt. Oder das ist zumindest, was mir durch den Kopf ging, als ich die freien Stunden meines Aufenthalts „zu Hause“ mit dem Fotografieren verbrachte. Vielleicht ist ja etwas davon hier zu sehen?



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